- Weltkrieg, Erster: Die militärische Dimension des Krieges
- Weltkrieg, Erster: Die militärische Dimension des KriegesIm Ersten Weltkrieg wurden 74 Millionen Menschen mobilisiert, doch die Zahl der unmittelbar vom Krieg Betroffenen war um ein Vielfaches höher. Seit 1917, als nach dem Kriegseintritt der USA die meisten Staaten Amerikas die Beziehungen zu den Mittelmächten abbrachen oder wie China in den Krieg eintraten, tobte ein totaler Krieg, obwohl angesichts des im Zweiten Weltkrieg nochmals gesteigerten Infernos bei der Verwendung dieses Begriffs Behutsamkeit angebracht ist. Alle Nationen waren direkt oder indirekt betroffen, auch wenn der Krieg im Wesentlichen auf dem europäischen Kontinent ausgetragen wurde und hier die weltpolitischen Entscheidungen fielen. Kolonialpolitische Nebenkriegsschauplätze in Asien — Kiautschou — und Afrika sowie die Kämpfe im Vorderen Orient — Gelibolu, Armenien, Mesopotamien und Ägypten — spielten keine entscheidende Rolle. Die Nationen Europas waren die Hauptakteure und damit die Leidtragenden eines sinnlosen Krieges. Hinter den Stichworten zehn Millionen Tote, Massengräber, menschliche Entwürdigung der Kombattanten in den Schützengräben, Materialschlachten, Massenvernichtungsmittel und Auflösung der Unterschiede zwischen Kriegs- und Heimatfront verbirgt sich als Bleibendes einzig ein gemeineuropäischer Fundus an Leid. Nur diesen hat das militärische Geschehen der Gegenwart hinterlassen. In Russland ist das Erinnern erheblich verdeckt durch die hier noch folgenden Volkskatastrophen, in Deutschland durch die Verantwortung für die final-fabrikmäßige Tötungsaktion zur NS-Zeit in Auschwitz. In Großbritannien hingegen blieb das Bewusstsein des Leidens und Sterbens im Ersten Weltkrieg wach. Vor allem aber Frankreich erinnert sich regelmäßig der Selbstbehauptung seiner Nation vor Verdun. Zukunftsweisend ist sein Kriegsmuseum in Péronne, das an das monatelange, allein 1200000 Menschenleben fordernde Niedermetzeln an der Somme erinnert. Im Mittelpunkt stehen Zeugnisse von dem besagten Fundus an gemeinsamem Leid; gewürdigt werden auch die Versuche von Soldaten, sich durch einfachste Hilfsmittel wie selbst gebaute Mandolinen und Fiedeln ein kleines Stück Bürgerlichkeit an der Front zu bewahren und dem Wahnsinn zu entfliehen.Der »Wettlauf zum Meer« an der WestfrontDie Nationen waren bei Kriegsbeginn auf siegreiche Offensiven fixiert und glaubten an kriegsentscheidende und rasch auszufechtende Durchbruchs- oder Umfassungsschlachten. Niemand durchschaute, dass die rasante technische Entwicklung zwar rasche Truppenbewegungen ermöglichen, dass aber eine noch mangelhafte Motorisierung die Angriffswaffen erfolglos und einen Bewegungskrieg unmöglich machen würden; im Weltkrieg sollten die Maschinengewehre zum »automatischen« Tod der Angreifer führen. 1914 jedoch wollten die Franzosen entsprechend ihrem Plan XVII nach Lothringen durchbrechen, ein britisches Expeditionskorps sollte zu Hilfe eilen, und selbst Russland, das zum vollständigen Aufmarsch viel Zeit brauchte, sollte mit ersten Truppen schon bald entlastend eingreifen. Doch Deutschland riss mit einem schnellen Vorstoß — gemäß dem Schlieffenplan über Belgien — die Initiative an sich. Die Invasion Frankreichs gelang, nach knapp drei Wochen standen die deutschen Truppen vor Paris. Doch in der Marneschlacht im September erlitt die deutsche Seite eine strategische, möglicherweise unnötige Niederlage. Dafür entscheidend waren die hervorragenden Abwehrleistungen der vom französischen General Joseph Joffre geführten und von Großbritannien unterstützten Franzosen, der Abzug von deutschen Truppeneinheiten an die Ostfront und vor allem Führungsmängel im deutschen Heer. Als Folge davon wurde Moltke im Oberkommando durch Erich von Falkenhayn ersetzt und entstand später in Deutschland bei Revanchisten der Gedanke an einen neuen und dann besser geführten Krieg. Anschließend fand der euphemistisch »Wettlauf zum Meer« genannte, verlustreiche Vorstoß beider Armeen zur Kanalküste statt, bei dem sich die Truppen wechselseitig zu umfassen suchten. Diese Aktionen sowie nachfolgende erste Versuche, die sich nach Norden bildende Front zu durchbrechen, zeigten erstmals, wie gnadenlos in diesem Krieg die Angreifer niedergemetzelt wurden. Die Schlachten von Langemarck und Ypern wurden zu ersten Symbolen dieses blinden Anrennens. Dem Deutschen Reich gelang es nicht, die für den britischen Nachschub wichtigen Kanalhäfen zu erobern. Doch als im November die Front, die wenig verändert bis Anfang 1918 Bestand haben sollte, an jener Linie von der Nordsee bis zu den Alpen erstarrte, hielten deutsche Truppen fast ganz Belgien und den Nordosten Frankreichs besetzt.Die Lage an der OstfrontNoch viel problematischer war der Kriegsauftakt für Österreich. Durch die Existenz zweier Fronten — gegenüber Serbien und Russland — überfordert, endete schon die »Strafexpedition« gegen Serbien vor Belgrad im Desaster. Aber vor allem in Galizien, wo die eigene Offensive mit einer russischen zusammenstieß, erlitt die Habsburgerarmee einen Schlag, von dem sie sich nicht mehr erholen sollte. Doch auch die russische Armee musste für ihren vertragsgerechten, aber ohne Rückendeckung vorgenommenen Vorstoß nach Deutschland Tribut zahlen. Die deutschen Osttruppen unter Führung von Hindenburg und Ludendorff befreiten Ostpreußen, von dem die Russen einen Großteil schon besetzt hatten, zerschlugen bei Tannenberg im August 1914 die russische Narewarmee und vertrieben an den Masurischen Seen die Njemenarmee. Schließlich verhinderten sie im Verbund mit österreichischen Truppen einen weiteren Westvorstoß der Russen von Warschau aus, woraufhin im Dezember auch die Ostfront erstarrte. Mit der glänzend geführten Doppelschlacht bei Tannenberg und an den Masurischen Seen erlangte Hindenburg den Nimbus eines »Retters des Vaterlandes«. Nationalisten bauten ihn fortan zu einer mythischen Gestalt auf, die das »Geheimnis des Sieges« kannte und die als Exponent des Angriffskrieges Umfassungsschlachten zu schlagen wusste. In den folgenden Jahren, als nach deren Ansicht die alte »Kriegskunst« »verkommen« war und ein »verkehrter« und »schmutziger« Graben- und Stellungskrieg stattfand, wurde der General selbst zum starrsinnigen Verfechter eines — längst unerreichbaren — deutschen Siegfriedens. Demgegenüber sprach sein Rivale Falkenhayn seit der Erstarrung der Westfront von dem deutschen Heer als einem »zerbrochenen Instrument«, hielt einen vollständigen Sieg gegen alle Gegner für nicht mehr erreichbar und drängte auf einen Sonderfrieden mit Russland.Koordinationsschwierigkeiten aller VerbündetenDas Scheitern aller strategischen Pläne des Jahres 1914 und der neuartige Grabenkrieg führten 1915/16 nicht etwa dazu, dass über die Unsinnigkeit des Krieges und einen Remisfrieden nachgedacht wurde, vielmehr dilettierten die Militärs mit todbringenden und nutzlosen Aushilfsstrategien. Diese waren um so verheerender, als das Problem eines gemeinsamen Oberkommandos auf beiden Seiten nicht befriedigend gelöst wurde. Bei den Mittelmächten blieb die mangelnde Koordination des Vorgehens aus dem Jahre 1914 bis 1918 kennzeichnend. Doch auch die Alliierten handelten vielfach den jeweiligen Einzelinteressen entsprechend selbstständig, obwohl sie Absprachen erzielten, vor allem auf den Konferenzen von Chantilly — hier wurden die Offensiven des Jahres 1916 koordiniert —, und auch im März 1918 unter dem französischen Marschall Ferdinand Foch ein gemeinsames Oberkommando einrichteten. Zwischen Ost- und Westfront konnten sie ohnehin keine direkte Verbindung herstellen, da Deutschland die Ostsee beherrschte und ein Angriff der Westmächte auf die vom Osmanischen Reich gesperrten Dardanellen scheiterte. Schwerer wog, dass das Ententebündnis durch wechselseitige Vorwürfe erschüttert wurde. Vor allem die Franzosen hielten den Briten vor, dass sie die französischen Truppen nur zum Schutz des Empires benutzten.Die DiversionsstrategieAuf der missglückten Suche nach neuen, plausiblen Strategien entschieden sich die Alliierten schließlich für die Diversionsstrategie sowie für trotzige Bemühungen, auf den kontinentalen Hauptkriegsschauplätzen das »Kriegsglück« zu erzwingen. Versuche, mit besagter Diversionsstrategie die Kräfte des Gegners durch Eröffnen von Nebenkriegsschauplätzen zu spalten oder Anläufe, Aufstands- und Nationalbewegungen für die eigene Sache einzuspannen, gab es weltweit; sie sollten den Feind an schwachen Stellen möglichst kriegsentscheidend treffen. Berühmt wurden die arabische Guerillabewegung, die der britische Agent »Lawrence von Arabien« (eigentlich T. E. Lawrence) für die Alliierten zustande brachte, und ein spektakulärer Aufstandsversuch irischer Nationalisten, der in Verbindung mit einer überharten Reaktion Großbritanniens zu einer Verschärfung des Irlandproblems führte. Für den Kriegsverlauf wichtiger war ein von dem britischen Ersten Lord der Admiralität Winston Churchill betriebenes, von der Halbinsel Gelibolu ausgehendes, kombiniertes Land- und Seemanöver, wobei der schlecht geführte gemeinsame Versuch von Briten und Franzosen, die Dardanellen zu erobern und Konstantinopel zu bedrohen, in einer Katastrophe endete. Die bedrängten Alliierten mussten sich nach Saloniki zurückziehen und konnten eine sich Anfang 1916 bildende starre Front von der Ägäis zur Adria erst am Kriegsende aufbrechen. Zu dieser fatalen Lage war es gekommen, weil 1915 Bulgarien nach der erfolgreichen Sommeroffensive der Mittelmächte gegen Russland mit Beute gelockt wurde und an der Seite Deutschlands und Österreichs in den Krieg eingetreten war. Zusammen überrannten diese Staaten daraufhin auch Serbien und brachten die wichtige Landverbindung zum Osmanischen Reich in ihre Hand. Dagegen bedeutete es für Deutschland und die Habsburgermonarchie einen schweren Schlag, dass deren Bündnispartner Italien und Rumänien durch territoriale Versprechungen auf die Seite der Kriegsgegner gezogen wurden. Italien rannte sich 1915 in den ersten der schließlich elf verlustreichen Isonzoschlachten fest, doch auch der Gegenstoß Österreichs Anfang 1916 brach die Front letztlich nicht auf, weil sich die Habsburgerarmee wieder dem Kampf gegen Russland zuwenden musste. Rumänien hatte 1916 die Kriegskonjunktur falsch eingeschätzt, und Bukarest wurde von den vermeintlich schwachen Mittelmächten rasch erobert. Diese inszenierten ihrerseits, abgesehen von dem Bulgariencoup, die die Alliierten überraschende Proklamation eines polnischen Staates Ende 1916. Diese spektakuläre Wiederherstellung eines polnischen Nationalstaats hätte ein werbewirksames Signal für die Politik der Mittelmächte sein können. Doch Ludendorff stellte durch Rekrutierungen umgehend klar, worum es ihm ging: Er benötigte dringend Soldaten, um den Fehlbedarf der deutschen Armee zu decken.Der Stellungskrieg an den HauptfrontenDer »gelähmte Riese« — RusslandDas eigentliche militärische Ringen fand jedoch 1915/16 an den Hauptfronten in Russland und Frankreich statt. Angetrieben von Ludendorff und Conrad massierte die ständig zwischen einer Schwerpunktsetzung im Osten oder Westen schwankende deutsche Führung von Oktober 1914 bis März 1915 ihre Truppen an der Ostfront. Durch einen von Ostpreußen und Galizien aus geführten Doppelstoß sollte Russland definitiv besiegt werden. Hindenburg gelang es im Wald von Augustów noch einmal, den Russen ein Cannae — der Topos für eine glorreich ausgegangene Umfassungsschlacht — zu bereiten, während Österreich, obwohl es die seit 1914 belagerte Festung Przemyśl verlor, erstmals in den Karpaten siegte. Vereint gelang Anfang Mai bei Gorlice-Tarnów, südöstlich von Krakau, die größte Durchbruchsschlacht des Weltkriegs, die zur Einnahme Litauens, Kurlands, Polens und Galiziens führte. Der französische Botschafter in Petrograd hatte richtig analysiert, dass der »gelähmte Riese« Russland nur noch einige Schläge gegen Feinde in Reichweite austeilen konnte. Entsprechend verlustreich gestaltete sich der Vormarsch der Mittelmächte; zu Jahresende bauten die Russen wieder eine Grabenstellung von der unteren Düna bis zur Bukowina auf. Doch die Kosten für Russland waren immens. Praktisch ohne Ausrüstung kämpfend, hatte das Zarenreich die Hälfte seiner Truppen eingebüßt. Anders war die Lage an der Westfront. Dort scheiterten vom Dezember 1914 bis Februar 1916 immer neue westalliierte Versuche, eine Offensive à outrance vorzutragen. Man meinte, gute Gründe zu haben, um die Soldaten in einer solchen Offensive bis zum Äußersten aus den Gräben heraus Welle um Welle in den sicheren Tod zu treiben: Zu ihnen zählte der Gedanke an eine Entlastung Russlands, die Versuchung, die eigene zahlenmäßige Überlegenheit zu nutzen, oder der psychologische Wahn, die Truppen müssten vor Lethargie in den Erdlöchern bewahrt und in ihrem Siegeswillen bestärkt werden. Ein betont »schneidiger« Joffre, der nach der Marneschlacht als »Vater des Vaterlandes« gerühmt wurde, kündigte voll Hybris auf die Deutschen zielend an: »Ich knabbere sie auf« und opferte sinnlos und zynisch sein »Menschenmaterial«.Symbol des Sterbens — VerdunDoch der Höhepunkt dieser menschenverachtenden Energie wurde erst 1916 — und zwar sowohl von deutscher als auch von britischer und französischer Seite — erreicht. Falkenhayn verlegte den Schwerpunkt erneut nach Westen und entschied sich in Kenntnis der bevorstehenden westalliierten Offensive für eine — wie er sagte — Strategie des »Ausblutens« des Feindes, eine »Blutanzapfung« oder auch »Blutmühle«. Von Ende Februar an ließ der eine frivole »Kriegsfreude« zeigende Oberbefehlshaber seine Truppen vier Monate lang auf die für Frankreich unverzichtbare Festung Verdun anrennen; die eigenen Verluste waren kaum geringer als die französischen. Trotz einer relativ schwachen Besatzung, die permanent ausgewechselt wurde, schaffte es Frankreich, den Eckpfeiler seines Verteidigungssystems zu halten. Verdun wurde zum Symbol für die Härten des Ersten Weltkriegs; schlimme Berühmtheit erlangte auch sein Fort Douaumont, das wechselseitig erstürmt wurde, selbst einzelne umkämpfte Punkte wie »Höhe 304« und »Toter Mann« wurden zu Chiffren des Grauens. Langsam begriffen die Militärs, dass statt Schlachten die technisch-industriellen Fähigkeiten der Staaten — in Verbindung mit den wirtschaftlichen Ressourcen der von den Bündnissen beherrschten Räume — kriegsentscheidend sein würden. Auch Falkenhayn hatte schon daran gedacht, mit Verdun die Rüstung des Feindes aufzuzehren. Die Alliierten, deren Perspektiven sich bei Materialschlachten dank einsetzender amerikanischer Hilfslieferungen, aber auch wegen neuer Panzer und Flugzeuge verbesserten, wollten diesen Gesichtspunkt sogar zu einer »neuen« Strategie nutzen.Die Sommeroffensiven des Jahres 1916Die sinnlosen Menschenopfer von 1915 sollten der Vergangenheit angehören. Die fünfmonatige, Ende Juni gestartete Sommeoffensive begannen die Alliierten, weil das nochmals erhöhte und nun überlegene Rüstungspotenzial genutzt und die Defensivlinien des Gegners durch massiven Artilleriebeschuss »pulverisiert« werden sollten; nach vorbereitenden Feuerwalzen, in denen zunächst die Frontlinie, dann schrittweise das Hinterland beschossen wurde, sollten praktisch keine Verteidiger mehr existieren. Dennoch herrschte auch Skepsis, da man gleichzeitig von einer bevorstehenden Abnutzungsschlacht sprach und an einen Sieg nicht zu glauben wagte. Bereits Verdun hätte zeigen müssen, dass das Konzept eines solchen Schlachtplans nicht stimmte. Doch selbst als die deutschen Verteidiger weiter aus ihren gesicherten Stellungen heraus Welle um Welle der angreifenden Alliierten niedermähten, wurde das unfassbare Massaker fortgesetzt und es führte zu größeren Verlusten bei Angreifern als bei Verteidigern. Der britische und der französische Oberbefehlshaber Douglas Haig und Ferdinand Foch standen in ihrer Menschenverachtung ihren deutschen Kollegen nicht nach. Geplant war die Sommeschlacht als eine von drei Sommeroffensiven des Jahres 1916. Die der Italiener verpuffte in wenigen Tagen. Dagegen konnten die Russen unter Aleksej Aleksejewitsch Brussilow im Osten die Mittelmächte völlig überraschen und fast besiegen. Durch letzte Kraftanstrengung besser als im Vorjahr gerüstet, errangen die Russen an der Front zwischen Pripjetsümpfen und Karpaten den größten Schlachtenerfolg des Weltkriegs insgesamt. Hierbei waren sie nicht zuletzt Nutznießer von Auflösungserscheinungen in der österreichischen Armee; doch auch die deutschen Verluste waren bei diesem Ansturm enorm. Trotz des glänzenden Siegs erreichte Russland nicht das Ziel der Brussilow-Offensive, den Zusammenbruch Österreichs, das völlig erschöpfte Land war vielmehr selbst am Ende.Der Kriegseintritt der USAIm Jahr 1917 änderte sich mit der Revolution in Russland und dem von Deutschland provozierten Kriegseintritt der USA die Kriegführung grundlegend. Die Westmächte trugen zwar noch ein letztes Mal die traditionellen offensiven Durchbruchsschlachten vor, die Materialüberlegenheit sollte durch mehr »Kühnheit« zum Tragen gebracht werden. Die Franzosen brachen ihr Unternehmen am Chemin des Dames, südlich von Laon, nach wenigen Tagen ab, wobei bald unter Kontrolle gebrachte Meutereien zeigten, dass es nun auch in der Truppe Widerstand gegen eine solche Kriegführung gab. Großbritannien hingegen zog seine in Flandern zwischen Cambrai und Passendale vorgetragene Offensive nochmals durch und erlitt wiederum fürchterliche Verluste. Die Westalliierten hatten wie alle Kriegsparteien ihr »Menschenmaterial« weitgehend verbraucht, das durch immer neue, immer jüngere Rekruten nicht mehr ersetzt werden konnte. So lebten in Frankreich beispielsweise nur noch 1 Million von den 3,6 Millionen Soldaten des Jahres 1914. Nun wartete man auf das Erscheinen der Amerikaner auf dem Kriegsschauplatz und hoffte, mit deren Hilfe eine abermals verstärkte Artillerie sowie massive Panzer- und Flugzeugeinheiten effektiv einsetzen zu können. Russland und Österreich waren gar nicht mehr in der Lage, den Krieg strategisch zu gestalten. Für sie ging es eher um das Überleben der Staaten. Dennoch behielt das seit der Februarrevolution demokratische Russland die Bündnisverpflichtungen gegenüber der Entente bei und startete Ende Juni noch eine nach dem russischen Regierungschef Aleksandr Fjodorowitsch Kerenskij genannte Offensive. Dieser letzte militärische Kraftakt brachte die Mittelmächte kaum in Gefahr, gehörte, da das Land kriegsmüde war, aber um so enger zur Vorgeschichte der Oktoberrevolution und dem am 15. Dezember folgenden Waffenstillstand zwischen Sowjetrussland und den Mittelmächten. Österreich hingegen überrannte zu seiner eigenen Überraschung mit den im Osten frei gewordenen Truppen im Oktober die Isonzofront bei Caporetto. Die nicht mehr kriegsbereiten italienischen Truppen wurden überrumpelt und leisteten keinen nennenswerten Widerstand, doch westalliierte Truppen stellten an der Piave eine neue Front her. Bei einer anschließend einsetzenden »nationalen Sammlung« des krisengeschüttelten Italiens traten dabei weithin sichtbar Faschisten als »Produkt« des Ersten Weltkrieges auf.Der U-Boot-KriegIm Deutschen Reich hingegen entschied der Konflikt zwischen ziviler und militärischer Führung den künftigen Kriegskurs. Als Reichskanzler Bethmann Hollweg mit seinen Bemühungen um einen Ausgleichsfrieden scheiterte, der aus der Erschöpfung Europas resultieren sollte, setzte die 3. Oberste Heeresleitung alles auf einen Sieg mit der »Wunderwaffe« U-Boot. Durchgängig wurde die deutsche Hochseeflotte durch die überraschend weite Blockade Großbritanniens, die die Nordseezugänge versperrte, zur Untätigkeit verurteilt; hieran hatte auch die einzige Seeschlacht am Skagerrak 1916 nichts geändert. Nunmehr sollten die U-Boote, nach schöngerechneten Prognosen über die Verluste und die Anfälligkeit Großbritanniens sowie unter Außerachtlassung der zu erwartenden Gegenmaßnahmen des Feindes, Großbritannien in wenigen Monaten friedensbereit machen, womit Deutschland auf dem Kontinent alle Trümpfe in der Hand gehabt hätte. Doch schon im Juli 1917 war klar, dass diese Art von Seekrieg gescheitert war. Die 3. Oberste Heeresleitung ging nun an die Ausgestaltung »ihres« Ostimperiums, bei der neben dem Frieden von Brest-Litowsk Anfang März 1918 das vorangegangene abermalige weiträumige Vorschieben der deutschen Truppen ganz neue Dimensionen der Weltpolitik ins Blickfeld rückte: Deutschland griff nach Zentralrussland und den Kaukasusländern, und parallel dazu intervenierten die Alliierten in Russland, Amerikaner und Japaner in Sibirien, Briten und Franzosen in Murmansk und Archangelsk und Franzosen am Schwarzen Meer.Der Zusammenbruch der WestfrontEntschieden wurde der Krieg in diesem Jahr 1918 jedoch an der Westfront. Auch die Tatsache, dass von dem Brückenkopf Saloniki aus verstärkte alliierte Verbände Bulgarien Ende September zur Kapitulation zwangen und damit die Südflanke der Front der Mittelmächte aufrissen, änderte hieran nichts. Unter der Führung von Ludendorff, der bewusst den Untergang Deutschlands riskierte, suchte Deutschland in fünf Offensiven in den Monaten März bis Juli den endgültigen Sieg im Westen. Der mit den letzten Reserven einer völlig ausgelaugten Truppe vorgetragene Vorstoß, der auch die letzten Kampfkräfte verbrauchte, hatte beträchtlichen Erfolg, vor allem gegenüber den von der Passendaleschlacht noch nicht erholten Briten. Doch letztlich zeigte sich, dass die Amerikaner gerade noch rechtzeitig mit ihren Truppen auf dem Kontinent erschienen waren. Amerikaner und Tanks (Panzer) waren dafür ausschlaggebend, dass die Alliierten unter dem neuen Oberkommando von Foch am 18. Juli zum unaufhaltsamen Gegenangriff übergehen konnten. Am 8. August, dem »Schwarzen Freitag« für das deutsche Heer, durchbrachen sie bei Amiens die deutsche Linie. Mitte September war die ganze Westfront in Bewegung, und am 28. September setzte Ludendorff in der deutschen Führung intern durch, dass umgehend um Waffenstillstand nachgesucht werde.Prof. Dr. Günter WollsteinWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Weltkrieg, Erster: Die technische Dimension des KriegesGrundlegende Informationen finden Sie unter:Weltkrieg, Erster: Kriegsziele und FriedensbemühungenEpkenhans, Michael: Neuere Forschungen zur Geschichte des Ersten Weltkrieges, in: Archiv für Sozialgeschichte, Band 38. Bonn 1998.Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, herausgegeben von Wolfgang Michalka. München u. a. 1994.Feldman, Gerald D.: Armee, Industrie und Arbeiterschaft in Deutschland 1914 bis 1918. Aus dem Englischen. Berlin u. a. 1985.
Universal-Lexikon. 2012.